Luhmannland

Insel für einen virtuellen Luhmann-Lesekreis

Donnerstag, 29. März 2012

Funktionen vs Themen


Mich beschäftigt gerade ein kleiner Absatz in "Kapitel IV. Die Unterscheidung von System und Umwelt". Genau genommen der vorletzte Absatz:

„Mit der laufend reproduzierten Unterscheidung von Information und Mitteilung kann ein soziales System sich selbst beobachten. Ein [] Beobachter zweiter Ordnung [] kann außerdem Themen und Funktionen der Kommunikation unterscheiden und damit die Bedingungen der Wiederholbarkeit von Operationen [] beobachten. Themen ermöglichen die Unterscheidung von Themen und Beiträgen, also von Strukturen und Operationen, die dann an der Innenseite der Grenze zur Umwelt haften. Das erlaubt eine sequentielle Ordnung der Kommunikation und führt zu einem nach Themen gegliederten, gleichsam lokal [] geordneten Gedächtnis. Funktionen beziehen sich dagegen auf die Autopoiesis des Systems und die dazu nötige Reproduktion, Änderung oder Neuentwicklung von Strukturen.“ (77f.)

Ich muss dazu sagen, dass mir die Unterscheidung Funktion/Thema bislang wenig Kopfzerbrechen bereitetet hat. Es war mir folgendermaßen klar: Die Funktion der Wissenschaft ist das Behandeln des Problems des Nichtwissens indem permanent Wissen und Nicht-Wissen kommunikativ produziert wird. Themen können dann beispielsweise die Systemtheorie, Viruserkrankungen, Geschlechterverhältnisse usw. usf. sein. Zu jedem Thema können schließlich unzählige Beiträge produziert werden. 

Aber was meint im zitierten Absatz genau „die Bedingungen der Wiederholbarkeit von Operationen beobachten"?

Diese Erklärung bezieht sich doch wohl zum einen (bei Thema) auf  die „sequentielle Ordnung der Kommunikation“ sowie das „nach Themen gegliederte, gleichsam lokal [] geordnete Gedächtnis“ und zum anderen (bei Funktion) auf die zur „Autopoiesis nötige Reproduktion, Änderung oder Neuentwicklung von Strukturen“.

Ich frage mich jetzt, wie ich diese Unterscheidung „so richtig“ fruchtbar machen kann. Etwa in Bezug darauf, dass man beobachten („unterscheiden und bezeichnen“) kann, ob es sich bei etwas um ein ausdifferenziertes Funktionssystem handelt - oder um ein Thema, um das sich vielleicht Kommunikationen verschiedenster Funktionssysteme ranken.

Greifen wir mal ganz fix irgendwas heraus… Mode! Spielen wir mal mit der Idee, Mode ist ein funktional ausdifferenziertes Funktionssystem [erste Überlegungen beginnen mit Simmel; dann hätten wir einen binären Code (In/Out); das spezifisch zu lösende soziale Problem wäre, die fortdauernde Frage zu lösen, wie kann man sowohl „dazu gehören“ (Integration) und gleichzeitig „man selber sein“ (Distinktion) und das mit auf Temporalisierung eingestellter, permanenter Re-Aktualisierung (deshalb die sich ständig wechselnden „Trends“), Professionen gibt es auch (Schneider und Models) ….naja usw. usf. (ist jetzt nur ein ad-hoch Beispiel!)].

Auf der anderen Seite könnte Mode aber auch ein Thema sein, dass von der Kunst (was ist auffällig, was gefällig), von der Wirtschaft (welche Kleider rechnen sich?), der Politik (was soll erlaubt sein [Bikini in der Fußgängerzone] oder verboten [Kopftuch]) oder der Wissenschaft [welche neuen Stoffe können entwickelt werden? Was ist das, diese „Mode“?) usw. usf. thematisiert werden.

Hilfen mir da irgendwie die nachgeschoben Erklärungen im Zitat?  

Wie kann ich effektiver erkennen, ob ich es nur mit einem Thema oder einem Funktionssystem zu tun habe, wenn ich tatsächlich schon die "Minimalanforderung" "binäre Codierung" entdeckt zu haben meine?

Sonntag, 28. März 2010

S.52f ... seltsam die Zeit ist. (besonders in FN 64)

Moinsen!

Habe mich gerade mit dem Kap. III beschäftigt und bin bei der FN64 hängengeblieben, die wie folgt lautet: "Wir merken hier vorgreifend schon an, daß diese Zeitform der Vermittlung von Redundanz und Varietät in der Neuzeit größere Bedeutung gewinnt, weil die naturale Absicherung von Redundanzen über Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten mehr und mehr aufgegeben werden muß und zugleich die unkoordinierte Irritierbarkeit gesellschaftlicher Kommunikation, also Varietät zunimmt." (S.53,FN 64)

Meine Frage ist nun, was ist hier mit "naturalen Absicherungen" gemeint sein könnte? Ist da etwa nur der Hinweis auf Tag und Nacht gemeint, oder steckt da mehr dahinter?

Freitag, 26. Februar 2010

II. Methodologische Vorbemerkungen

Was mir als eins der schrägsten Projekte der Luhmannschen Theorie erscheint, ist mit einigem Abstand der Methodenvorschlag 'Äquivalenzfunktionalismus'. Im vorliegenden Text 'Gesellschaft der Gesellschaft' sucht Luhmann die Theorie einer gesellschaftstheoretisch informierten Wissenschaft als Dekonstruktion überraschender und nicht überraschender Methoden anzulegen. Dabei erscheint die Trennung von Realität und Kenntnis als möglicher Ansatzpunkt für "raffinierte[re] Formen der systeminternen Erzeugung und Bearbeitung von Informationen."(S.37)

"Es wäre"[...], so schreibt Luhmann, "[...]viel damit zu gewinnen, könnte man Bekanntes aus ungewohnten Perspektiven neu beleuchten oder anders kontextieren."(S.42) Den Hinweis wie dies in einem polykontexturalen System auszusehen hat, fällt dabei seltsam knapp aus. "... so bleibt nur die Möglichkeit, theoriebautechnisch so transparent wie möglich zu verfahren und Begriffe als Entscheidungen auszuweisen, die mit erkennbaren Folgen geändert werden können."(S.43)

Mir scheint die hier geforderte theoriebautechnische Transparenz mehr als ein künsterisches Unterfangen als eine methodologische Vorbemerkung (und erinnert mich irgendwie an die drei Schachregeln: Carefully. Carefully. Carefully. ;-))

Wo ist diese methodologische Überraschungsmaschine?!

Donnerstag, 18. Februar 2010

Interpenetrationen (1)

"In Kommunikationssystemen dienen auch Pauschalbezeichnungen wie Namen oder Begriffe wie Mensch, Person, Bewusstsein dem eigenen Prozessieren von Referenz auf Umweltkomplexität. Immer geht es darum, geordnete  [...] Komplexität nach Maßgabe der eigenen Operationsmöglichkeiten - und in der Gesellschaft heißt das: sprachlich - zu verwenden. Für den Fall, dass sich solche Verhältnisse koevolutiv entwickeln und keines der in dieser Weise strukturell gekoppelten Systeme ohne sie existieren könnte kann man auch von Interpenetrationen sprechen." (GdG: 108)

Die erste von (nur) zwei Textstellen in der GdG die IPen thematisiert. Ich finde für unser, hier inzwischen ziemlich dominant (zentral?) gewordenes Problem mit 'dem Körper'/'irgendwas was Körper genannt wird', ist folgendes schon mal ganz interessant:
Zum einen der Hinweis auf die Referenz auf Umweltkomplexität eines bestimmten Systems:  in unserem Fall 'die Gesellschaft' referiert auf die Umweltkomplexität ('den Umweltkomplex') 'Körper'. Dies ist für die Gesellschaft ab dann möglich und solange nötig, wie sie sich somit Operationsmöglichkeiten erschließt und ihre Reproduktion sichert.

Zum anderen der Verweis auf die Koevolution, und da ließe sich ja zeigen - ganz früher eben mit Elias, später dann diskurstheoretisch, inzwischen auf vielfach systemtheoretisch, etwa mit der Analyse von Übergewicht bei Jugendlichen - dass Körper mit vielen sozialstrukturellen Veränderungen koevolutionieren (standesgemäße Affektkontrolle, verstäkte Beobachtung und gezieltes Einsetzen bei funktionaler Ausdifferenzierung, Modifikation und Tuning zur Existenz in einer nächsten, gleichzeitig fixierten wie konvulsiv zuckenden Gesellschaft ;)...

...bei diesem Post bleibt fraglos die "System-Frage" bestehen... :(

Freitag, 12. Februar 2010

Der Körper der Systemtheorie - Schritte im theoretischen Schnee

Interpenetrationen betreffen nicht nur das psychische System des Menschen. Auch der Körper wird einbezogen.“ (Luhmann 1987: 331)

Damit ist schon zweierlei gesagt: Erstens, der Körper gehört zur Umwelt der Gesellschaft, zweitens, er ist eine Spezialumwelt, mit der Prozesse gegenseitiger Interpenetration stattfinden. Die Interpenetrationen umfassen allerdings, wie Luhmann gleich im nächsten Satz schreibt, nicht den kompletten Körper. Da ist es vielleicht ganz gut Hahn und Jacob in ihrer Feststellung zu folgen, dass die „Vorstellung vom Körper als einem einheitlichen System“ selbst „Resultat von Evolution“ ist (Hahn/Jacob 1993: 151) und den Körper gerade nicht als >System<, sondern eher ein Konglomerat verschiedenster organischer Systeme, die in einem ökologischen Verhältnisse zueinander stehen, also „Nachbarschaftsverhältnisse zwischen heterogenen Ordnungen“ bilden (Baecker 2007: 9). Das dieses Konglomerat diverser Systeme als (ein) >Körper< kommuniziert wird, ist vor allem Folge eines kulturellen Programms, welches ein Erleben dieses Konglomerats konditioniert, in dem „Körper als Körper zählen“ (Luhmann 2005: 186). Der Leitunterscheidung, mit der der Körper als Körper in die Kommunikation als – fraglos ausschließlich – Kommunikation Eingang findet, ist die Differenz von Wahrnehmung und Kommunikation (ebd.: 188).

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Baecker (2007): Studien zur nächsten Gesellschaft, Suhrkamp.
Hahn und Jacob (1993): Der Körper als soziales Bedeutungssystem. In: Fuchs und Göbel (Hrsg.): Der Mensch – das Medium der Gesellschaft, Suhrkamp. S.146-188
Luhmann (1987): Soziale Systeme, Suhrkamp
Luhmann (2005): Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen. In: ders.: Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch. VS Verlag. S.180-193

Mittwoch, 10. Februar 2010

Körper, Essen und Sinnsysteme

Hier nun der überfällige Post dazu, wie der Körper und die Theorie selbstreferentieller Systeme mit der Theorie Luhmanns zu verbinden wären.

Offenbar hatte Luhmann bedenken, den Menschen in das System hineinzudenken, da die Differenzierungstheorie zu einer "Theorie der Verteilung von Menschen"(S.29) pervertieren würde. Luhmann verschob biologische Systeme und das psychische System hinter die Grenzen der Gesellschaft und konsternierte dies mit der "Selbstreproduktion der Kommunikation"(S.13).

Wenn man nun mit dem Begriff "Körper"als System arbeiten möchte, steht man vielleicht vor dem Problem der Autopoiesis oder der Selbstreferenz der Systeme.

Seltsam erscheint, dass wir bei dem System "Bewusstsein" überhaupt keine Mühe haben dieses Problem zu lösen.

Ideen?

Sonntag, 7. Februar 2010

Wort zum Sonntag - Computer und Katastrophe?

Ein Interview mit Dirk Baecker im Deutschlandfunk:


Bezüglich unserer hier gerade prozessierten Lektüre dGdG u.a. mit folgender Aussage:

"Man kann Niklas Luhmanns großes letztes Hauptwerk "Die Gesellschaft der Gesellschaft" als ein Denkmal der Moderne, aber auch als die Ankündigung der Notwendigkeit des Nachdenkens über eine Computergesellschaft begreifen."

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P.S. Online konnte ich den Link nur schlecht hören. Aber mit rechter Maustaste draufklicken und "Ziel speichern unter" wählen, kann man die Audiodatein downloaden - und dann lief es bei mir reibungslos.

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